Albert Sterr
Linksopposition verpeilt: lechts und rinks velwechsert – unterlegenen Rechtskandidaten Lasso unterstützt
Das Endergebnis der Stichwahl um die Präsidentschaft in Ecuador war knapp, aber eindeutig: mit einem Vorsprung von 230 000 Stimmen (12,8 Mio Stimmberechtigte, 75% Wahlbeteiligung) holte der national-populare Lenín Moreno 51,16% gegenüber 48,84%, die der Rechtsoppositionelle Guillermo Lasso für sich verbuchen konnte. Der Banker und Multimillionär Lasso hatte im Wahlkampf nach zehn Jahren „Bürgerrevolution“ und Positionierung im lateinamerikanischen Linksblock einen „Wandel“ versprochen. Gepusht von den großen Privatmedien inszenierte er sich als wirtschaftsfreundlicher demokratischer Herausforderer der scheidenden Correa-Regierung, die autoritär sei, das Land gespalten und wirtschaftspolitisch versagt habe. Was von seinen demokratischen Qualitäten zu halten ist, zeigte er unmittelbar nach den Wahlen eindrucksvoll: Er erklärte sich auf Grundlage einer von seinem Umfeld in Auftrag gegebenen Nachwahl-Umfrage zum Sieger. Als die offiziellen Daten anders ausfielen, schrie er Betrug, nannte die von der Wahlbehörde veröffentlichten Ergebnisse unglaubwürdig und rief seine Anhänger zu Straßenaktionen auf, da ihm der Sieg gestohlen worden sei. Dass er „seine Niederlage nicht akzeptieren und versuchen wird, ein destabilisierendes Szenario zu schaffen und sich als Opfer eines Wahlbetrugs“ darzustellen, sahen liberale (Pagina12.com.ar/23885) und linke Medien Lateinamerikas 1) schon Wochen vor der Abstimmung voraus.
Dagegen betonten die internationalen Beobachterdelegationen, unter anderem Delegierte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), den ruhigen Ablauf der Wahlen, das hohe Maß an Professionalität und Unparteilichkeit der Wahlbehörden sowie deren Transparenz. Die Linke Lateinamerikas atmete auf, da mit dem Wahlsieg des als integer und dialogbereit geltenden Lenín Moreno der Rechtstrend auf dem Subkontinent für´s erste gestoppt werden konnte. Die konservativen Medien richteten sich schnell auf die Fortsetzung der vom scheidenden Präsidenten Correa zwischen 2007 und 2017 vorangetriebenen „Bürgerrevolution“ ein. Auch das Weiße Haus gratulierte dem Wahlsieger Moreno. Damit ist das Thema „Wahlbetrug“ der Sache nach vom Tisch. Dennoch lässt der Verlierer Lasso seine Bataillone auf den Straßen der Großstädte Quito und Guayaquil weiter aufmarschieren, um die Regierungspartei Alianza PAIS unter Druck zu setzen, die auch bei den Parlamentswahlen im Februar die absolute Mehrheit (74 von 137 Sitzen) gewonnen hat.
Aus Verbündeten der „Bürgerrevolution“ wurden Kritiker
Aber die Bürgerrevolution ist seit einigen Jahren nicht nur von Seiten der alten Eliten sondern auch von links und Basisbewegungen her unter Druck. Was den Einen schon zu viel an Reformen ist, genügt den anderen nicht.
Nach einer Dekade der Instabilität, während derer linksorientierte Basisbewegungen einen neoliberalen Präsidenten nach dem anderen gestürzt hatten, brachte Rafael Correas Wahlsieg 2007 einen tiefen Einschnitt. Unter seiner Präsidentschaft, Resultat eines Bündnisses sozialer Bewegungen, linker Gruppierungen und national-popularer Strömungen, begann ein sehr dynamischer Reform- und Modernisierungsprozess, der mitunter als Spielart des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ interpretiert wurde. Der vom Neoliberalismus ausgezehrte Staatsapparat wurde gestärkt, eine neue Verfassung verabschiedet, bedeutende Sozialprogramme aufgelegt, die US-Militärbasis Manta geschlossen und mit anderen linksregierten Ländern Regionalbündnisse geschmiedet. In den Jahren 2009 und 2013 gewannen Correa und seine Mitte-links-Partei „Allianza PAIS“ die Wahlen jeweils mit überwältigenden Mehrheiten. Linke Gruppierungen wie die maoistische MDP, die Indígena-Partei Pachacutik oder die frühere sozialdemokratische Regierungspartei ID erzielten magere einstellige Ergebnisse und holten einige wenige Parlamentssitze.
Auf Basis dieser Kräfteverhältnisse legte Noch-Präsident Correa seit einigen Jahren zunehmend Caudillo-Allüren an den Tag. Er trat gegenüber sozialen, indianischen und Umweltbewegungen konfrontativ, polarisierend und spaltend auf. Das breite Bündnis, das den ursprünglichen Unwälzungsimpuls getragen hatte, zerbrach. Gewerkschaften und Bewegungen spalteten sich in einen Pro- und einen Anti-Regierungs-Flügel. Dabei gab es vielfältige Streitpunkte, teils konkreter (z.B. Mega-Bergbauprojekte, Ölkonzessionen im Yasuní-Nationalpark, Wasserrechte) und teils grundsätzlicher Natur: Förderung des Extraktivismus, „aufgeben utopischer und radikaler Verfassungselemente zugunsten eines pragmatischen Kurses“, „Entpolitisierung“ und Korruption, wie etwa die Rosa Luxemburg Stiftung monierte 2).Oder wie es in dieser Zeitung hieß: „Dynamiken der Realpolitik ersetzten bald die Konjunktur der Visionen“. Der Politikstil des scheidenden Präsidenten Correa wurde von Teilen der sozialen Bewegungen und der Linksopposition als „diktatorisch“ gewertet. Daher setzte sie „ihre unbedingte Priorität auf das Ende des Correismus“, so der ak-Artikel „Zwischen Pest und Cholera“ (ak 625, März 2017). Es gebe gar keinen Kampf rechts/links sondern eine Frontbildung marktkonforme vs. etatistische Rechte.
Linksopposition: Rinks und lechts velwechsert
Auf Grundlage dieser „Analyse“ haben sich eine ganze Reihe linker Persönlichkeiten und Organisationen in diesem Richtungswahlkampf (Fortführung des Reformprozesses vs. Rückkehr zum Neoliberalismus; lateinamerikanische Regionalintegration vs. Rückkehr zur US-Unterordnung) auch in der Stichwahl nicht nur nicht hinter den national-popularen Kandidaten gestellt, sondern offen zur Stimmabgabe für den Kandidaten der alten Rechten aufgerufen. Einen Mann, dem noch dazu der Ruf vorauseilt, dass er mit dem Wirtschaftszusammenbruch des Landes 1999 ein Vermögen verdiente und dieses mit dutzenden Finanzvehikeln in Steueroasen in Sicherheit brachte. Anders als die Junge Welt berichtete, konnte sich der national-populare Kandidat aber nicht „vor allem auf Gewerkschafter und soziale Organisationen stützen“. Die „Vertreter der Linken“ konnten ihre Kräfte nicht „bündeln“ und sich auch nicht mit „Vertretern sozialer Bewegungen sowie indigener Völker auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen“ 3). Da wurden offenbar Wunsch und Wirklichkeit verwechselt.
Denn bekannte Vertreter der maoistischen Unidad Popular und der bedeutenden Lehrergewerkschaft, der indianischen Pachacutik, der sozialdemokratischen ID, der Indígena-Verbände CONAIE und ECUARANI, der von der Rosa Luxemburg Stiftung hofierte Umweltaktivist Alberto Acosta und last but not least die ecuadorianische PCE (Marxisten-Leninisten) riefen allesamt zur Wahl des Rechtskandidaten auf um „Correa loszuwerden“ bzw. die „Diktatur Correas“ zu verhindern. „Lieber ein Banker, als ein Diktator“, so die Logik. Diese Aufrufe zeitigten auch „Erfolge“. In den Stammlanden der indianischen Bewegungen (zentrales Hochland; Amazonasbecken), Schwerpunkt von Minenprojekten und des Kampfes dagegen holte die Rechte Mehrheiten, ebenso in der Hauptstadt Quito, Hochburg der urbanen Linken. Der Sieg Lenín Morenos wurde im dichtbesiedelten Küstenstreifen des Landes festgemacht. In den vergangenen Dekaden holten dort die Rechtspopulisten, Vaterlandsretter und neoliberale Ausverkäufer regelmäßig ihre Mehrheiten. Den Sieg des Mitte-links-Kandidaten sicherten somit ideologisch nicht festgelegte Wechselwähler. Die linken und die superlinken Kapitalismuskritiker wie auch die Sozialdemokratie stimmten vielfach gegen ihn.
Spannend wird nun, wie sich die linken Kritiker des Reform- und Modernisierungskurses in Ecuador nach den Wahlen positionieren. Der neue Präsident hat alle Seiten zum Dialog eingeladen, während der gescheiterte Rechtskandidat wütend gegen alle und alles keilt. Mal sehen, ob die regierungskritische Linke selbstkritisch genug ist zu erkennen, dass sie mit ihrer „Analyse“, das Hauptproblem des Landes sei eine „Diktatur“, auf der falschen Seite der Barrikade gelandet ist.
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Guerra Cabrera, Angel: Para la derecha todo vale, in: Rebelión 17.3.2017
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Gabbert, Karin: Spielraum verspielt. Ecuador vor den Wahlen, in: Rosa Luxemburg Stiftung, Standpunkte 2/2017
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Hermsdorf, Volker: Ecuador am Scheideweg, in: Junge Welt 1.3.2017